Anlageberatung oder „nur“ Anlagevermittlung

31. August 2020

Zur Aufklärungspflicht über das Totalverlustrisiko

Wenn Kapitalanlagen – häufig geschlossene Fonds – nicht so laufen wie erhofft oder sogar zu befürchten steht, dass das gesamte eingesetzte Kapital verloren ist, etwa weil es sich um ein Schneeballsystem gehandelt hat oder die Konzeptionäre sich auf andere Art und Weise unredlich verhalten haben, versuchen viele Anleger, sich ihr Geld „zurückzuholen“, indem sie den Vermittler der Kapitalanlage verklagen – nicht zuletzt auf Betreiben sog. „Anlegerschutzanwälte“.

Der klagende Anleger behauptet vor Gericht eine Falschberatung. Hierzu muss er vortragen, wie er beraten worden ist und inwiefern diese Beratung fehlerhaft war. Häufig wird hierzu vorgetragen, der Anleger sei nicht über ein Totalverlustrisiko aufgeklärt worden. Diese pauschale Behauptung genügt in der Regel aber nicht, um den Rechtsstreit zu gewinnen.

Anlageberatung oder „nur“ Anlagevermittlung

Es macht einen Unterschied, ob zwischen dem Anleger und dem Vermittler ein Anlageberatungsvertrag oder lediglich ein Anlagevermittlungsvertrag zu Stande gekommen ist. Ein Anlageberatungsvertrag kann auch stillschweigend durch die faktische Beratung zu Stande kommen, er muss nicht in Schriftform vorliegen. Stellung und Aufgaben eines Anlagevermittlers und eines Anlageberaters sind unterschiedlich. Ihre Pflichtenkreise decken sich nicht, auch wenn Überschneidungen möglich sind. Der jeweilige Pflichtenumfang kann nicht allgemein bestimmt werden, sondern nur anhand der Besonderheiten des Einzelfalls. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Anleger einen Anlageberater hinzuziehen wird, wenn er selbst keine ausreichenden wirtschaftlichen Kenntnisse und keinen genügenden Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge hat. Er erwartet dann nicht nur die Mitteilung von Tatsachen, sondern insbesondere deren fachkundige Bewertung und Beurteilung, häufig wünscht er eine auf seine persönlichen Verhältnisse zugeschnittene Beratung.

An einen Anlagevermittler wendet der Anleger sich in der Regel in dem Bewusstsein, dass der werbende und anpreisende Charakter der Aussagen im Vordergrund steht. Der zwischen dem Anleger und dem Anlagevermittler zustande gekommene Vertrag zielt lediglich auf Auskunftserteilung und auf die Vermittlung der Anlage ab. Er verpflichtet den Vermittler zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für den Anlageentschluss des Anlegers und die Übermittlung der Order von besonderer Bedeutung sind.

Auch ein Anlageberater wird in aller Regel nach erfolgter Beratung die Anlage vermitteln, er prüft aber anders als der Anlagevermittler vorher die Geeignetheit der Finanzanlage für den Anleger.

Die Rolle des Prospekts

Wird dem Anleger der Prospekt ausgehändigt, so ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass im Prospekt enthaltene Risikohinweise nochmals ausdrücklich mündlich erwähnt werden. Der Anlagevermittler darf lediglich die Kapitalanlage und die Risiken nicht abweichend vom Prospekt darstellen. Der Prospekt muss dem Anleger so rechtzeitig zur Verfügung gestellt worden sein, dass der Anleger die Gelegenheit gehabt hat, den Prospekt vor seiner Anlageentscheidung zur Kenntnis zu nehmen. Der Anlagevermittler muss, um seiner Auskunftspflicht nachzukommen, im Rahmen der geschuldeten „Plausibilitätsprüfung“ den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand zu überprüfen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind.

Hinsichtlich des Totalverlustrisikos bedeutet das: Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, so muss der Vermittler nicht noch einmal explizit auf das Totalverlustrisiko hinweisen, da der Anleger die Möglichkeit gehabt hat, die Risiken im Prospekt zur Kenntnis zu nehmen.

Achtung: Der Vermittler muss belegen können, dass er dem Anleger den Prospekt rechtzeitig vor dessen Anlageentscheidung zur Verfügung gestellt hat!

Totalverlustrisiko bei Sachwertinvestitionen

Darüber hinaus sind mehrere Gerichte mittlerweile zu der Auffassung gelangt, dass eine Aufklärung über ein Totalverlustrisiko ohnehin nicht erforderlich ist, wenn dieses konzeptionell kaum möglich ist. Entsprechend hat das Landgericht (LG) Oldenburg zu einer Investition in Schiffscontainer entschieden – die Entscheidung wurde in II. Instanz durch das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg bestätigt –, und das Oberlandesgericht München zu einer Investition in einen geschlossenen Immobilienfonds. Für geschlossene Immobilienfonds hat bereits der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass über ein Totalverlustrisiko, das mit einer hohen Fremdkapitalquote verbunden sein kann, grundsätzlich nicht aufgeklärt werden muss, weil es sich dabei nicht um ein strukturelles, sondern um ein allgemeines Risiko handelt, das einem Anleger regelmäßig bekannt ist (BGH, Urt. v. 08.07.2010, ger. Az.: III ZR 249/09).

Zu der Investition in Schiffscontainer hat das LG Oldenburg (LG Oldenburg, Urt. v. 25.10.2019, ger. Az.: 3 O 3953/18) ausgeführt, dass bei Investitionen, denen ein Sachwert gegenübersteht, der in aller Regel erhalten bleibt, so dass das Risiko eines vollständigen Kapitalverlustes gering ist, eine Aufklärung über ein Totalverlustrisiko nicht erforderlich ist.

Stellungnahme

Es ist erfreulich, dass dem ausufernden Behaupten von Falschberatungen ein Riegel vorgeschoben worden ist, indem sich die entscheidenden Gerichte detailliert mit den betroffenen Kapitalanlagen befasst haben. Grundsätzlich dürfte jedem Anleger bekannt sein, dass zumindest theoretisch immer ein Totalverlustrisiko besteht – wer weiß denn schon, ob es zu einer Pandemie, zu Naturkatastrophen oder zu sonstigen einschneidenden Ereignissen kommt? Es dürfte nunmehr aber gefestigte Rechtsprechung sein, dass es einer expliziten Aufklärung über ein Totalverlustrisiko nur bedarf, wenn ein solches auch konzeptionell besteht. Das LG Oldenburg hat mit Hinweis auf ein BGH-Urteil zudem noch ausgeführt, dass Pflichtverletzungen der Geschäftsführung eines geschlossenen Fonds regelmäßig kein spezifisches Risiko der Kapitalanlage darstellen. Mit einem gesetzeswidrigen oder vertragsbrüchigen Verhalten muss ohne konkrete Anhaltspunkte nicht gerechnet werden, so dass hierüber nicht aufgeklärt werden muss.

Wir empfehlen dennoch, dass ein Hinweis auf das Totalverlustrisiko fester Bestandteil jeder Anlageberatung sein und standardmäßig auch bei der bloßen Anlagevermittlung erfolgen sollte, gerade weil theoretisch immer ein Totalverlustrisiko besteht. Die zitierten Urteile können aber vielleicht dazu führen, dass Vermittler mittlerweile insolventer geschlossener Fonds, ruhiger schlafen können, weil bei geschlossenen Fonds der Investition häufig ein Sachwert gegenübersteht und Anleger, die sich auf einen fehlenden Hinweis auf ein Totalverlustrisiko berufen, schlechte Karten haben dürften.

Ihre Ansprechpartnerin im Hause Netfonds:


Sarah Lemke
Syndikusanwältin

E-Mail: legal@netfonds.de

Ihr Netfonds-Team

Bild: pixabay.com