Logik statt Formelwust

15. Juli 2020

Sekundärmarktpreise von Zertifikaten

„Zertifikate sind außerordentlich kompliziert“: Dieser Satz ist häufig zu hören, wenn über Anlagezertifikate gesprochen wird. Aber ist diese Aussage so überhaupt zutreffend?

Für eine Antwort auf diese Frage ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Bezogen auf den Zeitpunkt der Endfälligkeit sind Zertifikate im Grunde unkompliziert und sehr leicht zu verstehen. Es gibt klare „Wenn-Dann-Regeln“, aus der sich unmissverständlich die Höhe der Auszahlung für ein endfälliges Zertifikat am Laufzeitende ergibt.

Beispiel Discountzertifikate: Ein Stand des Basiswerts zur Fälligkeit oberhalb des Caps löst eine Zahlung in Höhe des Caps aus. Liegt der Basiswert hingegen unterhalb des Caps, gibt es eine verringerte Zahlung, die dem Stand des Basiswerts entspricht. Alternativ kann auch der Basiswert selber geliefert werden.

Deutlich schwieriger ist es hingegen, den Zertifikatepreis während der Laufzeit einzuschätzen. Für die exakte Preisstellung stellen die Emittenten höchst komplexe Rechnungen an, die von den allermeisten Anlegern nicht im Detail nachvollzogen werden können.

Allerdings können sich Anleger behelfen: Mit logischem Denkvermögen und einfachem Dreisatz ist es häufig möglich, die Grundprinzipien der Preisbildung zu verstehen. Entsprechend gibt es eine stark verringerte Gefahr für böse Überraschungen während der Laufzeit.

Nachstehend sind beispielhaft je eine prinzipielle Überlegung und eine Überschlagsrechnung aufgeführt.

Beispiel für eine prinzipielle Überlegung:

Frage 1: Viele Zertifikatetypen, beispielsweise Discountzertifikate, Aktienanleihen oder Capped Bonuszertifikate, weisen dann besonders attraktive Konditionen auf, wenn die implizite Volatilität des Basiswerts hoch ist. Warum ist das eigentlich so?

Antwort: Bei den genannten Zertifikatetypen vollzieht der Anleger eine Art Deal. Er gibt die Chance auf einen sehr hohen Gewinn auf und „tauscht“ dies ein gegen andere Vergünstigungen, je nach Zertifikatetyp etwa einen Rabatt, einen Festzins oder einen Risikopuffer. Je volatiler ein Basiswert ist, desto wahrscheinlicher wäre es, dass der Basiswert stark steigt. Davon allerdings hat der Anleger aber wie geschildert nichts. Somit wiegt dieser Gewinnverzicht umso schwerer, je wahrscheinlicher er zum Tragen kommt. Und je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Gewinnverzicht auch schlagend wird, umso größer muss auch die entsprechende Vergünstigung sein, die der Anleger im Gegenzug erhält.

Beispiel für eine Überschlagsrechnung:

Beispiel 1: Ein Zertifikat steht unmittelbar vor einer Fälligkeit. Der Basiswert lag bei Auflage bei 100 Euro. Derzeit notiert der Basiswert bei 60 Euro. Das Papier hat aber einen Risikopuffer, der folgendes besagt: Steht der Basiswert am Ende zwischen 60 Euro und 100 Euro, so erhält der Anleger dennoch 100 Euro für das Zertifikat ausgezahlt. Steht der Basiswert hingegen am Ende unter 60 Euro, wird dieser Verlust bei der Zertifikaterückzahlung vollumfänglich nachvollzogen. Frage: Wo (circa) wird der Zertifikatekurs in dieser Konstellation unmittelbar vor Fälligkeit notieren?

Lösung: Kurz vor Fälligkeit notiert der Basiswert bei 60 Euro. Somit wird der Basiswert am Tage der Fälligkeit selber mit etwa 50% Eintrittswahrscheinlichkeit oberhalb von 60 Euro notieren, was eine Auszahlung des Zertifikats von 100 Euro zur Folge hätte. Die anderen 50% Eintrittswahrscheinlichkeit besagen, dass der Kurs des Basiswerts bei Fälligkeit knapp unter 60 Euro liegt, was eine Zertifikaterückzahlung zu ebenfalls knapp 60 Euro zur Folge hätte.

Wenn also die Rückzahlungsszenarien entweder bei 100 Euro oder bei knapp 60 Euro liegen und die Eintrittswahrscheinlichkeit hierfür jeweils gleich ist, muss der Zertifikatekurs mittig zwischen diesen beiden Preisen liegen. Die Kursnotiz des Zertifikats kurz vor Fälligkeit läge somit bei knapp 80 Euro.

Fazit: Auch wenn die genannten Beispielrechnungen und -überlegungen lediglich eine Annäherung beinhalten, lässt sich erkennen, dass man mit gesundem Menschenverstand viele preisbildende Faktoren von Zertifikaten selber überschlagen kann.

Hinweis in eigener Sache: Aufgrund der Urlaubszeit wird der nächste Beitrag zu Zertifikaten im Vertriebsnewsletter erst etwa Mitte August erfolgen.

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