Aktuelle Gerichtsurteile zur Beitragsanpassung (BAP) in der PKV

13. Juli 2020

Erläuterung & Stellungnahme

Zwei Gerichtsurteile beschäftigen derzeit die Versicherungsbranche: Die AXA hat einen Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Köln (Urteil des OLG Köln vom 28.01.2020, ger. Az.: 9 U 138/19) verloren und die Barmenia einen Rechtsstreit mit im Wesentlichen identischen Sachverhalt vor dem Landgericht Frankfurt (Urteil des LG Frankfurt vom 16.04.2020 ger. Az.: 2-23 O 198/19). In beiden Verfahren ging es um die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung (PKV).

Die Versicherer wurden jeweils dazu verurteilt, in der Vergangenheit zu viel gezahlte Beiträge an die klagenden Kunden zurückzuzahlen und zwar in Höhe der Differenz zwischen der ursprünglichen Beitragshöhe und der erhöhten Prämie.

Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Die AXA hat Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt und der Rechtsstreit gegen die Barmenia wird in der Berufungsinstanz vor dem OLG Frankfurt am Main weitergeführt werden.

Sachverhalt

Die Kläger haben jeweils geltend gemacht, die durch den Versicherer vorgenommenen Beitragserhöhungen seien formell unwirksam, weil die mit den jeweiligen Erhöhungsschreiben übersandten „Informationen zur Beitragsanpassung“ als Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügten. Die materielle Rechtmäßigkeit – also ob die Beitragserhöhungen kalkulatorisch rechtmäßig waren – war nicht Gegenstand der Verfahren.

Rechtlicher Hintergrund

Nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG ist der Versicherer, wenn bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zustimmt. Maßgebliche Rechnungsgrundlagen in diesem Sinne sind die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten.

Die Vorschrift zielt in erster Linie darauf ab, dem Versicherungsnehmer einen gewissen Zeitraum zu belassen, um sich auf eine ihm mitgeteilte Vertragsänderung einstellen zu können und sich darüber klar zu werden, ob er innerhalb der zeitgleich ausgestalteten Frist des § 205 Abs. 4 VVG sein Kündigungsrecht ausübt oder die Prämienänderung zum Anlass nimmt, von seinem Tarifwechselrecht nach § 204 VVG Gebrauch zu machen, worauf der Versicherer in der Mitteilung ebenfalls hinweisen muss.

Die Entscheidungen und die Rechtsfolgen

Das OLG Köln und das LG Frankfurt sind der Auffassung der Kläger im Wesentlichen gefolgt, wenngleich in dem Verfahren gegen die AXA verschiedene Beitragserhöhungen im Streit standen und das Gericht nicht sämtliche der in Streit stehenden Beitragserhöhungen als formell unwirksam angesehen hat. Soweit die Beitragserhöhungen in der Vergangenheit unwirksam waren, sind die zu viel gezahlten Beiträge von den Versicherern an die Kläger zurückzuzahlen. Im Übrigen wurden die Fehler in der Begründungsmitteilung durch das Nachholen der Begründung „geheilt“. Das heißt, wenn der Versicherer nachträglich die Begründung für die Beitragserhöhung mitteilt, setzt diese Begründung die 2-Monats-Frist des § 203 Abs. 5 VVG in Gang mit der Folge, dass der Kunde ab dem Beginn des zweiten Kalendermonats, der der Begründung folgt, die erhöhte Prämie zu zahlen hat.

Anforderungen an die Mitteilung der für die Beitragsanpassung maßgeblichen Gründe

Da das Prämienanpassungsrecht eine dauerhafte Veränderung der für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlagen voraussetzt, muss die Mitteilung zumindest irgendwelche Aussagen zu diesem Punkt enthalten. Es ist erforderlich, in der Mitteilung zur Begründung der Prämienanpassung die Rechnungsgrundlage zu nennen, deren Veränderung die Prämienanpassung ausgelöst hat, also die Veränderung der Leistungsausgaben bzw. Versicherungsleistungen und/oder der Sterbewahrscheinlichkeit bzw. Sterbetafeln. Dies muss auch und gerade bezogen auf die konkrete Prämienanpassung erfolgen. Nicht ausreichend ist insofern, dass in Informationsblättern allgemein darauf hingewiesen wird, dass eine Veränderung einer der beiden genannten Rechnungsgrundlagen eine Prämienanpassung auslösen kann, ohne klar darauf hinzuweisen, welche geänderte Rechnungsgrundlage für die in Rede stehende konkrete Prämienerhöhung maßgeblich war. Eine bloße Erläuterung der allgemeinen gesetzlichen und tariflichen Grundlagen reicht nicht aus.

Der Versicherer muss aber nicht von sich aus detailliert die gesamte der Anpassung zugrundeliegende Kalkulation offenlegen und den Kunden auch nicht die Unterlagen, die dem Treuhänder bei seiner Prüfung vorlagen, überlassen. Begründet wird dies damit, dass es sich bei den Einzelheiten der Prämienberechnung um Betriebsgeheimnisse des Versicherers handelt, die ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohnehin nicht nachvollziehen kann. Auch die Angabe der konkreten Höhe der Veränderung oder des sog. auslösenden Faktors ist nicht erforderlich. Denn für die Prämienerhöhung reicht es aus, dass die Veränderung den in den Versicherungsbedingungen oder im Gesetz festgelegten Schwellenwert übersteigt.

Frist für die nachträgliche Mitteilung der Begründung

Die Begründung kann jederzeit nachgeholt werden, die Heilung tritt aber nur mit Wirkung für die Zukunft und unter Berücksichtigung der 2-Monats-Frist ein.

Verjährung

Die Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Verjährungsfrist beginnt mit Erhalt der Information, dass der Beitrag erhöht wird. Etwaige Rückzahlungsansprüche aus Jahren vor 2017 sind daher verjährt.

Stellungnahme

Auf den ersten Blick scheinen die Urteile ein Erfolg für die Versicherten zu sein, die möglicherweise aufgrund eines Formfehlers bereits gezahlte Beiträge von ihrer Versicherung zurückverlangen können. Führt man sich jedoch die Grundlagen der Beitragskalkulation in der PKV vor Augen, dann kommt man leicht zu dem Schluss, dass die Versicherten sich hierdurch letztlich selbst schaden.

Die Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge in der PKV erfolgt nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip. Dabei wird stets ein Kollektiv betrachtet, das zu Versicherungsbeginn gleichaltrig ist. In jedem einzelnen Kollektiv muss die Summe aus den Beitragseinnahmen über die gesamte Versicherungszeit die Summe aller zu erwartenden Versicherungsleistungen decken. Fallen Beitragseinahmen weg oder steigen die Ausgaben in einem Kollektiv, dann entsteht ein Fehlbetrag, der durch Beitragsanpassungen (BAP) ausgeglichen werden muss.

Es muss also davon ausgegangen werden, dass sämtliche Beiträge, die von den Versicherten zurückgefordert werden, in Zukunft auf die Beiträge aufgeschlagen werden, also mit höheren Beiträgen zu rechnen ist.

Wichtig: Nicht die Tatsache, dass und in welcher Höhe die Beiträge erhöht worden sind, wurde bemängelt, sondern lediglich die mangelhafte Begründung der Beitragserhöhung in der Mitteilung an den Kunden. Von unrechtmäßigen Beitragserhöhungen kann daher nicht die Rede sein. Und es muss grundsätzlich auch in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die jeweilige Begründung mangelhaft war. Die beiden Urteile sind keinesfalls allgemeingültig für alle Beitragsanpassungen aller Versicherer.

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